Die Stadt als Beute
Handelskammer Hamburg greift nach der Macht:Die Stadt als BeuteIn einer 173-seitigen Broschüre mit dem Titel Hamburg 2030 – Ein Projekt der Handelskammer Hamburg hat die Hamburger Wirtschaftslobby am 31. Januar 2011 ihr "Wunsch-Zukunftsbild" für die Hamburger Politik der nächsten zwanzig Jahre vorgelegt. Darin formuliert die Handelskammer, deren finanzielle Macht auf der Zwangsmitgliedschaft von 160.000 Hamburger Unternehmen beruht, ihren Macht- und Eigentumsanspruch auf Politik, Gesellschaft und öffentliche Güter in der Hansestadt. Politische Partizipation der Bürger ist nicht erwünscht. Ihnen wird Egoismus, Partikularinteresse und mangelnde Urteilsfähigkeit zugeschrieben. Der gefürchteten direkten Demokratie soll mit eigenen, "konstruktiven" Bürgerbegehren und mit der "Planungshoheit durch den Senat" entgegengetreten werden. Als weitere Widersacher der Handelskammerpläne werden "Naturschutzverbände" genannt. Unterschrieben ist die "Agenda 2030" an erster Stelle vom ehemaligen Handelskammer-Präses Frank Horch, der - in Übereinstimmung mit den strategischen Plänen der Agenda - ein hohes politisches Amt in Hamburg anstrebt. Dazu verhelfen soll ihm Olaf Scholz, SPD, der - auf diese Weise gestützt von der Hamburger Wirtschaftslobby - inzwischen selbst an die Macht gekommen ist und im Gegenzug seit November 2010 damit begonnen hat, seine Partei auf Handelskammer-Kurs zu bringen. Nach dem Wunsch-Zukunftsbild der Handelskammer Hamburg sollen sich Unternehmer und Unternehmen in allen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen zur Durchsetzung und Sicherung ihrer Interessen "verstärkt einbringen". Zugriff auf Politik und PolitikerSo "sollten sich Hamburger Unternehmen stärker in politische Entscheidungsprozesse einbringen". Dazu soll der "Anteil der Unternehmer mit politischem Mandat erhöht" und die "Anzahl der Kaufleute unter den Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft" vergrößert werden. Das Ziel: "Handelskammer und Verbände bringen sich noch stärker in Gesetzesvorhaben ein." Zur systematischen Ausrichtung der Politik auf die Ziele der Wirtschaftslobby sollen auf einer Veranstaltung mit dem Namen Hamburg Economic Forum regelmäßig "führende Entscheider der Hansestadt und der Metropolregion zusammenkommen". Dies "bietet Unternehmen und Unternehmern damit die Möglichkeit einer direkten Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess". Der "lebendige Austausch zwischen Politik und Wirtschaft ... schafft Verständnis auf beiden Seiten und sichert Konsens bei zentralen politischen Fragestellungen". Das Ziel: "Wirtschaft und Politik verfolgen gemeinsam klare und langfristige Ziele". Zugriff auf Wissenschaft und ForschungAuch Wissenschaft und Forschung sollen nach den Plänen der Hamburger Wirtschaftslobby verstärkt dem Profitinteresse der Unternehmen unterworfen werden. Gefordert wird, "Forschungs- und Wirtschaftsförderung zu koordinieren" und "verstärkt Anreize zur Kooperation Wirtschaft/Wissenschaft zu setzen". Bei der Lenkung der Forschungsinhalte, zum Beispiel über Drittmittel, soll die "Mittelvergabe an Zielen orientiert" werden. Dazu soll die "mentale Einheit von Wissenschaftlern und Kaufleuten hergestellt" werden. Ziel ist ein maximaler Technologietransfer, das heißt, die Bereitstellung technologischen Wissens zugunsten der Unternehmen. Vorbild ist die Technische Universität München (TUM), - gerühmt als "Die unternehmerische Universität". "Die TUM sieht sich als Basis der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Sie strebt an, Studenten für die Bedürfnisse der Wirtschaft auszubilden. Dafür passt sie die Studieninhalte fortlaufend an neue Erfordernisse an". Um die unternehmensorientierte Ausrichtung Hamburger Hochschulen zu befördern, schlägt die Handelskammer vor, den "Hochschulen (wirtschaftliche) Handlungsfreiheit einzuräumen", an ihnen eine "betriebswirtschaftliche Leitung zu installieren" und entsprechend eine "Anpassung der Hochschulgesetze" vorzunehmen. Darüber hinaus sollen "drei Fraunhofer-Institute und zusätzliche Forschungszentren", die anwendungsorientierte Forschung zum unmittelbaren Nutzen für Unternehmen bereitstellen, aus öffentliche Mitteln eingerichtet werden. Hamburg soll dann "bestehende Forschungseinrichtungen und Gewerbeflächen verknüpfen und die Stadt so mit einem Netz von Technologieparks überziehen." Ziel ist ein "Technologietransfer vom Fließband". Zugriff auf den öffentlichen RaumDie von der Handelskammer Hamburg seit Jahren vorangetriebene Teilprivatisierung und "Reinigung" des öffentlichen Raums von natürlicher Vegetation und unerwünschten Personen durch Kampagnen wie "Hamburg macht Grün" und Business Improvement Districts (BID) soll nach den Vorstellungen der Wirtschaftslobby noch erheblich verstärkt werden. Ein BID ist ein Bereich, in dem die Kommune ihrer am Gemeinwohl ausgerichteten Daseinsvorsorge im öffentlichen Raum nicht mehr nachkommt, sondern diesen Bereich Grundeigentümern an Hand gibt, die ihn zum eigenen Vorteil nach ihren privaten Interessen gestalten und mit sonst öffentlichen Stellen vorbehaltenen Vollmachten kontrollieren können. Auf Betreiben der Handelskammer gibt es in Hamburg bereits acht BIDs, so dass "Hamburg die BID-Hochburg in Deutschland" ist, wie die Agenda 2030 stolz berichtet. Nach den nun vorgestellten Plänen der Handelskammer "sollte der BID-Gedanke auf Gewerbegebiete und Technologieparks ausgeweitet werden." Ein Großteil des öffentlichen Raums in Hamburg wäre dann bald mit einem Netz von profitorientierten Business Improvement Parks (BIP) überzogen, in denen Gesichtspunkte des Gemeinwohls und des Naturschutzes keine nennenswerte Rolle mehr spielen würden. Zugriff auf städtische FlächenAngetrieben durch die Handelskammer Hamburg und unter dem Schlagwort "Wachsende Stadt" hat in den vergangenen neun Jahren unter CDU-Regie die Bebauung und Versiegelung von Grün- und Freiflächen in Hamburg ein nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Nach der gerade vorgelegten Agenda 2030 der Wirtschaftslobby soll der Flächenverbrauch nun noch einmal drastisch gesteigert werden. Die Vergabe von Gewerbeflächen pro Jahr soll von jetzt 25 Hektar auf 75 Hektar im Jahr 2030 verdreifacht werden. Auch für den Wohnungsbau ist ein jährlicher Flächenverbrauch von 75 Hektar geplant, - insgesamt also 1.500 Hektar, davon 1.000 Hektar in 21 neuen Wohngebieten. Dass es sich dabei überwiegend nicht um Wohnraum für Menschen mit normalem und geringen Einkommen handelt, ergibt sich aus der Zielvorstellung der Handelskammer für das Jahre 2030: "... die Wohneigentumsquote liegt bei über 50 Prozent" ( - derzeit beträgt die Wohneigentumsquote nur etwa 22 Prozent!). Demnach zielt der Wohnungsneubau vornehmlich auf Menschen mit höherem Einkommen, - die weitere Gentrifizierung Hamburgs ist bereits eingeplant, einkommensschwächere Einwohner werden aus der Stadt verdrängt. Die Agenda 2030 bleibt die Antwort schuldig, auf welchen (Grün-)Flächen Hamburgs die 21 neuen Wohngebiete entstehen sollen. Demgegenüber macht die Handelskammer (auf den Seiten 108-109, 167-173) unter der Überschrift Gewerbeflächenentwicklungsprogramm 2030 detaillierte "Vorschläge für die Entwicklung neuer Gewerbeflächen in Hamburg" auf einer Gesamtfläche von 572 Hektar, verteilt auf 17 Einzelflächen (die Lage der restlichen geplanten Gewerbeflächen - zusammen 128 Hektar - wird nicht angegeben). Etwa 154 ha der vorgeschlagenen Flächen werden von Kleingärtnern, etwa 284 ha werden landwirtschaftlich genutzt; 290 ha sind als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen und meist von hohem ökologischen Wert. Weitere schutzwürdige Biotopflächen sind von der Zerstörung bedroht, werden von der Handelskammer jedoch verschwiegen. Denn die in Anspruch genommenen Landwirtschafts- und Kleingartenflächen sollen "möglichst einvernehmlich ... auf Grundstücke am Stadtrand" verlagert werden. Damit würden noch einmal 438 ha bisher meist naturbelassener Flächen verbraucht. Die Handelskammer schreibt zu den geplanten Gewerbeflächen (S. 167): "Diese Flächen sind überwiegend noch nicht im gültigen Flächennutzungsplan als Siedlungsflächen ausgewiesen; sie sind Ergebnis eines strukturierten Flächensuchprogramms der Handelskammer Hamburg. ... Die Entwicklung der benannten Flächen bedarf eines sehr entschlossenen Handelns von Politik und Verwaltung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Flächenentwicklungen immer auch einen Eingriff in bestehende Situationen bedeuten. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass dagegen zahlreiche Bedenken erhoben werden. Als vorteilhaft könnte sich daher die Wahrnehmung der Planungshoheit durch den Senat im Rahmen eines Gewerbeflächenentwicklungsprogramms erweisen ...". Demnach schlägt die Handelskammer vor, den Bezirken die Planungshoheit in der Sache entziehen, um so die Umwandlung der grünen, ökologisch vielfach wertvollen, unversiegelten Flächen in Gewerbeflächen zügig auf Senatsebene und ohne die Möglichkeit von Bürgerbegehren durchzusetzen. Ablehnung des mündigen BürgersWährend die Hamburger Wirtschaftslobby, die Handelskammer, ihr profitorientiertes Partikularinteresse als "Gemeinwohl" darzustellen versucht, steht der mündige Bürger, der die Werbesprüche der Lobby und ihrer Politiker durchschaut, bei der Handelskammer unter Generalverdacht. Direkte Demokratie ist für die Handelskammer "ineffizient und handlungsunfähig, weil Entscheidungsprozesse zu lange dauern und mit den hohen Kosten eines Volksentscheides einhergehen." Dass Bürgerinitiativen sich für das Gemeinwohl einsetzen, kommt in der Agenda 2030 der Wirtschaftslobby nicht vor. Das mit ihren Zielen nicht konforme Bürgerengagement wird durchwegs als "Partikularinteresse", als "gesellschaftlicher Egoismus" und als "zunehmende Individualisierung" abgewertet. Auch wird in Frage gestellt, dass "Bürger angesichts von Informationsdefiziten die Folgen von Entscheidungen und Maßnahmen im Einzelnen immer ausreichend beurteilen können" (- als wenn Politiker dies besser könnten). Im sogenannten "Nullszenario", das dem "Wunschszenario" im Handelskammer-Papier gegenübergestellt ist, wird ein veritables Schreckensbild zur Verteufelung der Bürgerpartizipation entworfen: "Gewinnen Partikularinteressen die Oberhand, droht eine 'institutionelle Sklerose', die langfristig zum wirtschaftlichen Niedergang führt." In der schönen neuen Welt der Handelskammer herrscht "gesellschaftsübergreifender Schulterschlusses". Und "die Hamburgische Bürgerschaft ist sich bei zentralen Themen einig". Dass die offene Austragung gegensätzlicher Auffassungen konstitutiver Bestandteil einer lebendigen Demokratie ist, passt nicht in das Weltbild der Wirtschaftslobby. Und sie hat auch schon ein Rezept gegen Bürgerbegehren, die sich gegen die restlose Privatisierung und Zerstörung öffentlicher Güter in Hamburg zur Wehr setzen: das Konstruktive Bürgerbegehren. Wie auf Seite 106 des Handelskammer-Papiers nachzulesen, sind nicht die Bürger, sondern "Politik, Wirtschaft und Handelskammer" für solche wirtschaftsorientierten "Bürger"begehren verantwortlich. Schwächung der Hamburgischen VerwaltungEin weiterer Gegner, über den die Handelskammer in ihrem "Zukunfts-Wunschbild" wenig Gutes zu berichten weiß, ist die Hamburgische Verwaltung. Die Notwendigkeit der staatlichen Kontrolle durch Verordnungen und Genehmigungsverfahren wird als "Bürokratiebelastung" beklagt, die es zu "senken" gelte. Eine Beschleunigung der Genehmigungsprozesse soll paradoxerweise durch "Verschlankung" der Verwaltung, durch "Reduktion des Personalbestands" erreicht werden. Was damit wirklich gemeint ist, ergibt sich aus einer weiteren Forderung: "Genehmigungen werden automatisch erteilt – soweit nicht in festgelegter Frist widersprochen wird." Besonders im Umweltbereich will die Handelskammer staatliche Kontrollen reduzieren und auf "freiwillige Selbstverpflichtung statt Regulierung setzen". Insgesamt möchte die Wirtschaftslobby statt staatlicher Verwaltung "mehr Selbstverwaltung durchsetzen" und die "Anzahl der den Kammern übertragenen hoheitlichen Aufgaben" erhöhen. Auch hier ist das Bestreben der Wirtschaftslobby erkennbar, sich weitestgehend einer gesellschaftlichen Kontrolle zu entziehen und ihre Machtposition auf Kosten der demokratisch legitimierten Instanzen auszubauen. Zugriff auf öffentliche DatenAuch staatlich erhobene Daten über die Einwohner, Einrichtungen und Vorgänge in Hamburg will sich die Wirtschaftlobby zur profitorientierten Nutzung sichern. Dazu heißt es in der Agenda 2030 der Handelskammer unter anderem: "Private Internetsuchmaschinen und soziale Netzwerke sammeln vielfältige Daten über Orte, Nutzer und viele weitere Informationen, um künftig de facto als monopolistischer Anbieter diese Daten kommerziell zu verwerten. ... Daten mit Hamburg-Bezug erhebt die Stadt bereits heute regelmäßig. ... Sie könnte diese in eigener Regie ... zur Schaffung eines effizienten und wettbewerbsintensiven Marktes allen interessierten Unternehmen zugänglich machen ('Hamburg Open Data')." Unbeantwortet bleibt die Frage, inwieweit das begehrte, staatlich erhobene Datenmaterial über Hamburger Bürger und ihre Aktivitäten möglicherweise auch für andere, etwa politische Zwecke missbraucht werden könnte. FAZITDie Hamburger Wirtschaftslobby in Gestalt der Handelskammer hat mit der programmatischen Schrift Hamburg 2030 ein Handlungskonzept für die nächsten zwanzig Jahre vorgelegt, in dem sie einen umfassenden Zugriff der Hamburger Wirtschaft auf politische Entscheidungen, öffentliche Ressourcen und das gesellschaftliche Leben in Hamburg plant. Das Handlungskonzept erklärt und begründet das Bestreben des Präses der Handelskammer, Frank Horch, ein zentrales politisches Amt in Hamburg zu übernehmen. Unter Naturschützern in Hamburg muss dies Besorgnis auslösen, war die Handelskammer in den letzten neun Jahren doch die treibende Kraft bei der weitgehenden Zerschlagung des Naturschutzes in der Hamburger Verwaltung, bei der Zerstörung großer Teile der Stadtnatur und bei der Durchsetzung eines immensen Flächenverbrauchs in Hamburg. Die Zerstörung zahlreicher weiterer wertvoller Biotope und Landschaften wird in der Agenda 2030 der Handelskammer angekündigt, ebenso wie die Absicht, diese Maßnahmen zentralistisch unter Ausschaltung direktdemokratischer Optionen der Hamburger Bürger durchzusetzen. Der gehorchte ScholzEs ist davon auszugehen, dass der Spitzenkandidat der SPD, Olaf Scholz, die Pläne seines Verbündeten Horch seit Monaten kennt und gutheißt. So hat Scholz seit November 2010 damit begonnen, die Politik der Hamburger SPD an Vorgaben der Handelskammer und ihres Präses auszurichten:
Zu beobachten war also ein sukzessives "Abarbeiten" von Handelskammer-Forderungen durch den SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz. Die Rechnung nach der WahlSchon zwei Stunden nach dem "gehorchten" Wahlsieg des Olaf Scholz präsentierte die Handelskammer Hamburg ihre Rechnung und forderte weitere Kompetenzen für ihren ehemaligen Präses Frank Horch als künftigem Wirtschaftssenator in Hamburg: "Um die wirtschaftspolitische Schlagkraft am Standort Hamburg zu erhöhen, sollten die Bereiche Verkehr, Energie, Medien, IT und Technologie in den Kompetenzbereich der Behörde für Wirtschaft und Arbeit überführt werden", heißt es im Gratulationsschreiben der Wirtschaftslobby. Der neue "Energie-Senator" wäre dann ein Befürworter der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und ein Gegner der Rekommunalisierung der Energienetze in Hamburg, heißt es doch auf Seite 99 der von Horch unterschriebenen Handelskammer-Agenda 2030: "Rekommunalisierungstendenzen halten an, ohne dass ihr Nutzen erwiesen ist". |
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